Foto: Marioj Basic
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In vielen Ländern werden Menschenrechtsverletzungen an Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender- und Inter-Menschen (LSBTI) zunehmend wahrgenommen. Die neue Sichtbarkeit führt aber auch zu Gegenwind.

von Caroline Ausserer, erschienen in Südwind – Magazin für internationale Politik, Kultur und Entwicklung (Nr. 1-2 Februar 2014)

„Besonders beunruhigend finden wir die Entwicklung in Russland. Obwohl der Staat gleichgeschlechtliche Beziehungen offiziell nicht kriminalisiert, wird durch Gesetze gegen LSBTI Aktivist_innen Tür und Tor für Homophobie geöffnet“, betonen Gloria Careaga und Renato Sabbadini von ILGA im Jahresbericht von 2013. Die 1978 gegründete internationale Vereinigung setzt sich weltweit für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersex Menschen ein. Sie beziehen sich im Bericht auf das Gesetz gegen „nicht traditionelle sexuelle Beziehungen“ in Russland. Bereits im Vorfeld der Winterspiele in Sotschi kam es zu Proteste wegen dieses Gesetzes gegen sogenannte „Homosexuellen-Propaganda“, das seit Ende Juni 2013 in Kraft ist. Es sieht Geldbußen vor, wenn in Anwesenheit von Minderjährigen oder über die Medien über gleichgeschlechtliches Leben berichtet wird. Selbst das Internationale Olympische Komitee war verunsichert, doch die russischen Behörden haben bekräftigt, während der Spiele Homosexuelle nicht zu diskriminieren.

Das Beispiel Russland zeigt, dass Menschenrechte von LSBTI Personen immer wieder neu verteidigt werden müssen. „Der Menschenrechtsschutz fällt niemandem in den Schoss“, betont Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. „Wenn wir uns die Entwicklung von Menschenrechten anschauen, dann sehen wir, dass es immer Betroffene gegeben hat, die gleiche Rechte einfordern und Rechtsverletzungen anprangern. Das ist ein gesellschaftlicher Lernprozess: Unrecht wird benannt und daraufhin reagiert die staatliche oder internationale Gemeinschaft mit einer Anerkennung dieser Rechte,“ so Rudolf und erinnert an die Frauenbewegung. Für sie haben die Widerstände gegen die fortschreitende Anerkennung von LSBTI Rechten v.a. mit Verunsicherung zu tun. „Es geht dabei oft um die Zukunft und den familiären-persönlichen Bereich, den man am ehesten noch mit gestalten kann.“ Das Aufrechterhalten der herkömmlichen Familienbilder gebe Sicherheit, nur so könne der heftige Widerstand beispielsweise gegen die Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren in Frankreich oder das volle Adoptionsrecht in Deutschland verstanden werden.

Die letzten Jahre sind die Jahre der gleichgeschlechtlichen Ehen oder Lebenspartnerschaften, die sich wie eine Kettenreaktion durch die Länder ziehen: von Argentinien, Uruguay über Frankreich und Großbritannien bis nach Neuseeland. Die neue Sichtbarkeit von LSBTI-Personen führt aber auch zu negativen Reaktionen: Immer mehr Länder setzen die Definition der Ehe als Beziehung zwischen Mann und Frau in den Verfassungsrang, wie Lettland, Ungarn oder kürzlich Kroatien (siehe Kasten zu Kroatien).
Besorgnis erregende Rückschritte gibt es auch in Afrika und Asien. In Uganda wurde erst vor kurzem das Gesetz zur rechtlichen Kriminalisierung von Homosexualität mit Unterstützung evangelikaler Kirchen durchgesetzt (siehe Kasten zu Uganda). Damit reiht sich Uganda zu den 76 Ländern, die homosexuelle Handlungen kriminalisieren und sich gegen eine Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen stellen. Indien hat erst vor kurzem den Entkriminalisierungsparagraphen gekippt (siehe Kasten zu Indien). In Mauretanien, Saudi-Arabien, im Sudan, Iran, Jemen, sowie in Teilen des Nordens Nigerias und im südlichen Teil Somalias stehen bestimmte sexuelle Praktiken, die als homosexuell interpretiert werden, sogar unter Todesstrafe. Gesetzliche Verbote werden oft durch konservativ religiöse und nationalistische Einstellungen gestützt. Sie beruhen teilweise noch auf europäische Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts, die durch den Kolonialismus Eingang in die Strafgesetzbücher gefunden hat.

Genauso wie Lesben, Schwule oder Bisexuelle aus der zweigeschlechtlich und heterosexuell organisierten Gesellschaft fallen, sind auch Personen mit nicht geschlechtskonformem Auftreten wie manche Trans*- oder Inter*-Menschen Zielscheibe für Diskriminierung und Gewalt.

Trans*-Menschen sind Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Inter*-Menschen wiederum werden mit körperlichen Merkmalen geboren, die von der Medizin als “geschlechtlich nicht eindeutig” eingestuft werden. Die medizinischen Diagnosen zu Trans- oder Intersexualität werden dazu benutzt, Trans*- und Inter*-Menschen als krank zu stigmatisieren.

In vielen Ländern ist Trans*-Menschen eine rechtliche Geschlechtsanerkennung versagt oder an hohe Hürden geknüpft, wie zwingend vorgeschriebene Operationen und Sterilisation. Dazu gehören 24 Länder in Europa, 15 davon sind in der EU.1 Mit dabei sind Länder wie Frankreich, Italien, die Schweiz, Belgien oder Dänemark und bis vor kurzem auch Deutschland. Mit der Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2011 wurde die Forderung nach einer geschlechtsangleichenden OP und Kastration jedoch als verfassungswidrig erklärt und abgeschafft.

Auch Inter*-Menschen leiden darunter, dass ihnen in vielen Gesellschaften die Menschenrechte verweigert werden. So werden sie häufig im nicht-einwilligungsfähigen Alter als Neugeborene ohne medizinische Notwendigkeit geschlechtszuweisend operiert. Etwa 60 Prozent diagnostizierter intergeschlechtlicher Menschen unternehmen in ihrem Leben mindestens einen Suizidversuch. Aktivist_innen haben das UN-Verfahren genutzt, um die Rechtsverletzungen an Inter* international zu benennen. Seitdem werden die Rechtsverletzungen von Intersex-Menschen von den Vereinten Nationen anerkannt. Beispielhaft ist ein neues Gesetz in Australien, das explizit erstmals intergeschlechtliche Menschen vor Diskriminierung schützt.

Ein „Meilenstein bezüglich LSBTI Rechte“ ist die Resolution des UN-Menschenrechtsrates von 2011. Damit erkennt erstmals das Menschenrechtsgremium der Vereinten Nationen an, dass LSBTI die gleichen Rechte haben und Rechtsverletzungen weltweit verfolgt werden müssen. „Obwohl unverbindlich, ist die Resolution unverzichtbar beim Auslegen von Rechten und bringt Staaten in einen politischen Zugzwang. Ebenso hilft sie für ein Mainstreaming der LSBTI Rechte im UN-Bereich“, ist Rudolf überzeugt. Trotz dieser positiven Entwicklungen, rät sie auch in Zukunft zu Wachsamkeit, denn „einmal erkämpfte Rechte können wieder streitig gemacht werden“.

Kasten zu Argentinien:

Die „Ley de Identidad de Género“ (Gesetz über die Geschlechtsidentität) wurde am 9. Mai 2012 vom Parlament verabschiedet und ist seit Juli 2012 in Kraft. Für Aktivist_innen gilt dieses Gesetz wegen des Menschenrechtsansatzes als das beste Trans*gesetz weltweit. Während in den meisten Ländern Trans*-Menschen sich für eine Geschlechtsangleichung scheiden lassen, unfruchtbar machen, sich medizinisch behandeln lassen, ihre Geschlechtsidentität mit einem sogenannten „Alltagstest“ unter Beweis stellen müssen und/oder psychologische Gutachten von unabhängigen Expert_innen vorlegen müssen, sieht dieses Gesetz gänzlich davon ab. Die Änderung des Geschlechts ist in Argentinien ein einfacher Verwaltungsakt. Das Recht auf Selbstbestimmung wird in das Zentrum gerückt, sowie die Pflicht des Staates eine Namens- und Geschlechtsänderung auf rascher und transparenter Weise zu ermöglichen. Darüber hinaus wird das Recht auf Gesundheitsvorsorge für Trans*-Menschen garantiert, das durch nationale Gesundheitspläne abgedeckt werden muss.

Kasten zu Kroatien:

Die kroatische Regierung will mit einem umfassenden Gesetz die rechtliche Situation von lesbischen und schwulen Paaren regeln. Unterdessen kämpft eine heftige Kampagne mit einem Referendum „Im Namen der Familie“ dagegen an.
Die Initiative schaffte es innerhalb von zwei Wochen im Mai 750.000 Unterschriften für ein Referendum zu sammeln, das die Definition von Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in den Verfassungsrang heben will. Fast 66 Prozent haben am 1. Dezember 2013 dafür gestimmt.
Gleichzeitig hat die von den Sozialdemokraten geführte Mitte-links-Allianz Kukuriku, die seit 2011 regiert, einen Gesetzesvorschlag zur registrierten gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft eingebracht. In 80 Artikeln sollen alle wichtigen Bereiche für registrierte Lebenspartnerschaften geregelt werden. Es soll in Zukunft möglich sein, als lesbisches oder schwules Paar die eigene Partnerschaft zu registrieren. Von Erbrecht über Freistellung von der Arbeit wenn der Partner krank ist, bis hin zu Pensionsrechte soll darin alles abgedeckt werden. Der Gesetzesentwurf soll in den nächsten Wochen dem Parlament vorgelegt werden.