Von Presse und Politik wurde die am 1. November in Kraft getretene Gesetzesänderung für intergeschlechtliche Kinder als ein Schritt in Richtung Normalität gefeiert Doch Inter-Vereine befürchten eine erneute Stigmatisierung.
Für jede Menge medialen Wirbel sorgte die gesetzliche Neuerung im deutschen Personenstandsrecht, die festlegt, dass intergeschlechtliche Kinder sofort nach der Geburt keinem Geschlecht mehr zugeordnet werden dürfen. Wörtlich heisst es im Absatz 3 von §22: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.“ Diese Änderung, die bereits Ende Januar von der Bundesregierung verabschiedet wurde, ist als Einführung eines „dritten Geschlechts“ oder „juristische Revolution“vonseiten einiger Medien gefeiert worden, wird aber von Inter*Organisationen heftig kritisiert. Seit 2009 bestand laut §7 PStV bereits die Möglichkeit, den Geschlechtseintrag optional offen zu lassen.
„Das ist Flickschusterei“, sagt Ins A Kromminga, Sprecher_in für die Internationale Vereinigung Intergeschlechtlicher Menschen IVIM (OII-Deutschland), sowie im Vorstand von OII-International. „Während es bisher theoretisch unbegrenzt möglich war, den Geschlechtseintrag offen zu lassen, so ist dieser Nicht-Status nun verpflichtend und wird in der Geburtsurkunde festgeschrieben. Dies führt unserer Meinung nach zu einer verstärkten Stigmatisierung und zu einem ‘Zwangsouting.“ Unklar ist ausserdem, welche Auswirkung dies auf verschiedene Bereiche des Lebens haben wird, wie beispielsweise bei der Passregelung oder der Krankenversicherung . Denn diese Dokumente wiederum beruhen bislang auf eine eindeutige Geschlechtszuschreibung. Daher besteht die Gefahr, dass diese Neuregelung (potentielle) Eltern und Ärzt_innen dazu bringen kann, alles zu tun um ein „uneindeutiges“ Kind zu vermeiden. „Der Druck, sogenannte geschlechtliche Eindeutigkeit herzustellen, ist durch die Änderung gestiegen“, beklagt Kromminga. Das neue Gesetz ändert auch nichts daran, dass die Praxis der operativen Eingriffe im Säuglingsalter ohne medizinische Notwendigkeit weiter bestehe. „Immer noch bestimmt die Medizin, was Geschlecht ist und wer welchem Geschlecht zugewiesen wird. Wir wollen, dass diese Definitionshoheit endlich gebrochen wird und fordern ein Ende der Medikalisierung von Inter*Menschen!“
Hintergrund der Gesetzesänderung ist eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates im Auftrag der Bundesregierung vom Februar 2012 zur Lebenssituation intergeschlechtlicher Menschen. Darin wird festgehalten, dass die Zwangszuweisung Intersexueller zum weiblichen oder männlichen Geschlecht „ein schwerwiegender Eingriff in das Recht auf Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht“ darstellt. Die Bundesregierung ihrerseits war bereits 2008 von der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW verpflichtet worden, binnen zwei Jahren aktiv zu werden, um Menschenrechtsverletzungen an Inter* zu beenden.
Zahlreiche Anträge der Opposition zur Stärkung der Rechte von Inter*Menschen hatten im Deutschen Bundestag im Juni 2013 keine Mehrheit gefunden. „Die Änderung im Personenstandsgesetz ist bislang die einzige von insgesamt 22 Empfehlungen des Ethikrats, die rechtlich umgesetzt wurde“, kritisiert Kromminga. Vier der Empfehlungen betrafen das Personenstandsgesetz, rund 18 hingegen die medizinische Behandlung. „Zunächst müssen die nicht eingewilligten Eingriffe verboten werden, dann das gesetzliche Umfeld an die Gesetzesänderung angepasst werden“, betont Kromminga.
Caroline Ausserer (erschienen in Siegessäule, Dezember 2013)
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