Der 17. Mai ist Internationaler Tag gegen Homophobie und Transphobie. Im Interview berichtet Renato Sabbadini, Direktor der Internationalen LSBTI-Vereinigung ILGA, über jüngste Erfolge und Rückschläge.
Lassen Sie uns über die positiven und negativen Trends zu den Rechten von LSBTI global sprechen. Dieses Jahr veröffentlicht ILGA die zehnte Ausgabe des State Sponsored Homophobia Report (SSHR), ein Bericht, der über die Jahre zu einem wertvollen Instrument für Interessengruppen, aber auch Politiker/innen geworden ist. In Anbetracht dieser Studie, was ist Ihre generelle Meinung zur Entwicklung von LSBTI-Rechten?
Renato Sabbadini: Die Anzahl der Organisationen und Aktivist/innen, die an diesen Themen arbeiten, insbesondere in der UN, aber auch auf der nationalen Ebene, hat sich erhöht. Wir können das an der Aktivität unserer Mitgliedsorganisationen erkennen: Wir haben jetzt 1.200! Unter unseren Mitgliedern haben wir eine erhöhte Wahrnehmung in Bezug auf die Bedeutung von Lobbying beim UN-Menschenrechtsrat festgestellt, insbesondere wenn die lokale nationale Regierung nicht bereit ist zuzuhören. Es wird viel mobilisiert und viele Aktivist/innen kommen nach Genf.
Auf der anderen Seite könnte diese Mobilisierung auch unerlässlich sein, da sich manche Länder noch immer auf konservative Vorstellungen über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität beziehen. Gibt es Entwicklungen zu LSBTI-Rechten im letzten Jahr?
Diese Frage lässt sich am besten beantworten, indem man einige Schritte zurückgeht und einen größeren Zeitrahmen betrachtet. Mit Blick auf den SSHR konnten wir in den letzten zehn Jahren eine Abnahme der Anzahl der Länder, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen unter Erwachsenen bestrafen, von 92 auf 76 feststellen. Dies bedeutet, dass 16 Länder ihre homophobe Gesetzgebung abgeschafft haben, was eine sehr positive Tendenz ist. Eine weitere positive Entwicklung ist in “schützenden” Gesetzen zu sehen, wie etwa der gleichberechtigten Ehe oder dem Diskriminierungsverbot auf der Grundlage von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, sei es am Arbeitsplatz oder darüber hinaus.
Und es gibt Länder – dies mag paradox erscheinen – die, wie Namibia, immer noch homosexuelle Handlungen kriminalisieren, aber gleichzeitig Gesetze erlassen haben, die Diskriminierung am Arbeitsplatz unter Strafe stellen. Wir erwarten, dass Namibia den gleichen Kurs wie Mosambik verfolgen wird, das dieses Jahr gerade von unserer Liste jener Länder genommen, die einen besonders harten Kurs fahren. Dort wurde ein neues Strafgesetzbuch verabschiedet, in dem sexuelle Orientierung nun nicht mehr erwähnt wird. Manchmal ist es einfacher für ein Land, Antidiskriminierungsgesetzgebung einzuführen, als ein Gesetz abzuschaffen, das sexuelle Orientierung kriminalisiert. Es ist einfacher, gemeinsam mit der Verabschiedung eines neuen reformierten Strafgesetzbuchs kriminalisierende Aspekte zu verbannen, um damit vermehrte Aufmerksamkeit auf das Thema von den konservativsten Sektoren zu vermeiden: Es ist eine Taktik, die anscheinend funktioniert.
Da wir über Afrika sprechen: Dort gab es etliche negative Entwicklungen – ich denke da gerade an Uganda und Nigeria.
Sicherlich, aber auch hier gilt, wenn wir dies innerhalb eines kurzen Zeitraums anschauen, sieht es furchtbar aus, besonders im Fall von Uganda. Aber dann hat unsere Mitgliedsorganisation zusammen mit anderen LSBTI-Gruppen ein Verfahren am Verfassungsgericht eingeleitet, und sie haben gewonnen. Es stimmt zwar, dass das Gericht das Gesetz in Uganda aufgehoben hat, weil es einen Fehler im Wahlverfahren gab. Doch wir beobachten eine Tendenz, bei der Regierungen in einer feindseligen Position verharren, aber die Rechtsprechung anfängt, eine ausgleichende Rolle zu spielen. Im Falle Nigerias treffen unterschiedliche Entwicklungen, die wir weltweit beobachten, zusammen, und wir werten noch aus, wie wir am besten damit umgehen können. Dies mag bedrückend erscheinen, aber diese Versuche von bestimmten Regierungen, die sich vehement gegen die Anerkennung der Tatsache wehren, dass LSBTI-Rechte Teil der Menschenrechte sind, sind relativ begrenzt. In Kenia zum Beispiel gab es fünf Abgeordnete, die den Fall Ugandas nachahmen wollten – doch ihr Antrag wurde abgelehnt. Und kürzlich hat das Gericht in Kenia entschieden, dass NGOs, die zu LSBTI-Rechten arbeiten, berechtigt sind, als solche anerkannt zu werden.
Dies ist ein sehr positives Beispiel und ein großer Erfolg. Lassen Sie uns andere Regionen der Welt betrachten. Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn Sie über positive Entwicklungen im Bereich LSBTI-Rechten sprechen?
Die zwei positiven Entwicklungen, die mir einfallen, sind die Zunahme gleichgeschlechtlicher Ehen und Antidiskriminierungsgesetzgebungen. Eine gleichgeschlechtliche Ehe ist nun in 16 Ländern möglich, und in dieser Aufzählung schließen wir nun auch die Vereinigten Staaten von Amerika ein, da mehr als die Hälfte der Bundesstaaten sie befürwortet. Wir werden bald sehen, was der Oberste Gerichtshof dazu im Juni sagt. Sollte er entscheiden, dass die Ehe ein verfassungsmäßiges Recht ist, darf sie kein Bundesstaat mehr verweigern. In Mexiko zum Beispiel, wo die Hauptstadt bereits die gleichgeschlechtliche Ehe angenommen hat, ist es nun auch in einem anderen Bundesstaat möglich. Dies sind die wesentlichen positiven Entwicklungen, die in Europa, Nordamerika, Lateinamerika und Ozeanien, wenn man Neuseeland einschließt, vorzufinden sind.
Wie ist es mit Asien?
In Asien haben wir vergangenes Jahr diesen vorübergehenden Rückschlag erfahren mit dem Beschluss des Obersten Gerichtshofs von Indien gegen das Oberste Gericht in Neu Delhi, der den Paragrafen 377 wieder eingesetzt hat. Gleichwohl haben sie gesagt, dass es die Rolle des Parlaments wäre, die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs zu verändern, aber von der gegenwärtigen konservativen “traditionelle-Werte”-Regierung ist in naher Zukunft nicht viel zu erwarten. Die Reaktion der indischen Zivilgesellschaft war jedoch stark und unsere Mitgliedsorganisationen in Indien haben in der Zivilgesellschaft Verbündete gefunden, sogar unter den Bollywoodstars. Es ist ein Rückschlag, aber ich denke, dass, sobald Indien sich verändert, dies eine positive Auswirkung auf die umgebenden Länder haben wird. Diese Gesetze sind ein Erbe der gemeinsamen britischen kolonialen Vergangenheit.
Wir haben noch nicht über Europa gesprochen.
Manche Länder in Europa sind sehr fortschrittlich. Das beste jüngste Beispiel ist Malta mit einer außergewöhnlichen und der fortschrittlichsten Gesetzgebung zu Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und körperlicher Diversität, die im April 2015 verabschiedet wurde. Dieses sogenannte Geschlechtsidentitäts-, Geschlechtsausdrucks- und Geschlechtsmerkmale-Gesetz erfasst erstmals auch Intersex-Angelegenheiten. Dies ist wirklich außergewöhnlich, und die Verzögerung in meinem Herkunftsland, Italien, zu all diesen Themen ist eine Schande, insbesondere da es sich um ein Gründungsmitglied der Europäischen Union handelt.
Du hast jetzt Inter*-Rechte erwähnt, wie ist es mit Trans*-Rechten?
Da gibt es noch viel zu tun in ganz Europa und der Welt. Aber dank der Dachorganisation Transgender Europe (TGEU) wird den Regierungen und Parlamenten zunehmend bewusst, dass dies ein Thema ist, das berücksichtigt werden muss. Viele dachten, dass sie bereits zufriedenstellend mit dem Thema umgegangen seien, indem sie in den 70er und 80er Jahren eine Gesetzgebung zur Änderung des Geschlechtseintrags mit zahlreichen Bedingungen einführten, inklusive Forderungen, die Menschenrechtsverletzungen wie Sterilisation beinhalten. Erst jetzt erkennen sie – dank der Trans*-Organisationen – dass sie diese Verfahren überdenken müssen.
Sind Anpassungen in der Gesetzgebung das Hauptziel von ILGA?
Es ist ein Schritt. Wir sollten sicherlich feiern, wenn ein neues Gesetz wie in Malta oder wie seinerzeit in Spanien zur gleichgeschlechtlichen Ehe verabschiedet wird, aber wir werden erst in den kommenden Dekaden erfahren, welchen Einfluss dies auf den sozialen und kulturellen Wandel haben wird. Wenn ich zum Beispiel nach Litauen blicke, wo ein ähnliches Gesetz gegen verabschiedet wurde, wie wir es aus Russland kennen, das sogenannte “Homosexuellen Propaganda Gesetz” (und Lettland könnte künftig ein ähnliches verabschieden), ist noch viel Arbeit zu tun. Wandel in der Gesetzgebung ist jedoch nicht die einzige Veränderung; man braucht auch kulturellen Wandel. Wir müssen berücksichtigen, dass Bewegungen wie die 1968er Generation und die Frauenbewegung in westeuropäischen Ländern fortschrittliche Ideen hervorgebracht haben. Diese erleichtern es Politiker/innen, die während dieser Zeit aufwuchsen, zum Beispiel Gesetze zur gleichgeschlechtlichen Ehe in Betracht zu ziehen.
Sie haben vorhin Russland erwähnt. Was ist ILGAs Strategie dort?
Während wir das Gesetz zur Propaganda nichttraditioneller Beziehungen offen kritisieren, besteht kein Zweifel daran, dass dieser Wandel vornehmlich aus Russland selbst kommen muss, anstelle von außen, da internationaler Druck – im Gegenteil – Putins Narrativ über eine Nation, die heroisch “dem Westen standhält” verstärken könnte. Wir müssen neue Wege finden, um unsere Freund/innen in ihrer Arbeit zu unterstützen, insbesondere jetzt, da sie durch ein anderes Gesetz härter getroffen sind, dem sogenannten “NGO-Agentengesetz”. Dieses erschwert Nichtregierungsorganisationen, Finanzierung aus dem Ausland zu erhalten und zwingt sie dazu, im Verborgenen zu handeln.
Mit der abschließenden Frage möchte ich in die Zukunft blicken: Wohin steuern wir?
Wir steuern auf eine Welt zu, in der LSBTI-Rechte zunehmend als Menschenrechte anerkannt werden; auf eine Welt, in der Diskriminierung auf der Grundlage der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität, des Geschlechtsausdrucks und der körperlichen Diversität moralisch unhaltbar sein wird. Es wird nicht schnell passieren, aber der Anstieg junger LSBTI-Aktivist/innen, die geschickt die Zensur der feindseligen Regierungen zu untergraben wissen, gibt mir Hoffnung. Sie sind dazu fähig, das Klima zu verändern, indem sie sich bei ihren Familien outen, einige riskieren dabei sogar ihr Leben. Dieser Wandel lässt sich nicht mehr umkehren.
Danke für das Interview.
Das Interview führte Caroline Ausserer
Erschienen am 17. Mai 2015 auf der Heinrich Böll Seite,
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