Die Narrative
Auf das Thema Menschenhandel machen Politik, Medien oder NROs mit schockierenden Geschichten aufmerksam. Die meisten dieser Erzählungen beginnen mit einer Form der Täuschung oder des Betrugs um die Aufmerksamkeit der Person zu bekommen. Dabei kann es um falsche Versprechungen einer Heirat oder einer lukrativen Arbeit im Ausland gehen. Auf die Täuschung folgt die Reise, die häufig von kriminellen organisierten Gruppen organisiert wird. Am Zielort angekommen, werden die getäuschten Frauen eingesperrt und dazu gezwungen sich zu prostituieren. Elemente wie: Reiseschulden abzahlen, Dokumente abgeben müssen und die Brutalität der kriminellen Banden unterstreichen die Ausweglosigkeit dieser Frauen.
Diese Geschichte und Bilder erzählen die „typische Narrative des Menschenhandels“. Damit wollen die Medien, NROs oder die Politik die Aufmerksamkeit für das Thema wecken, sowie die Notwendigkeit aufzeigen, Aktionen gegen den Menschenhandel zu setzen. Mit dieser Art der Narrative wird aber auch die vom Menschenhandel betroffene Person deutlich gezeichnet: Es handelt sich dabei zumeist um eine junge, unschuldige und naive Frau in den Fängen hartgekochter, brutaler, krimineller Banden.
Der Menschenhandel ist jedoch ein viel komplexeres Feld als diese Narrative erahnen lassen. Es gibt Schwierigkeiten mit der Datenerhebung, ebenso fehlt eine klare Definition des Phänomens.
Die Definition
Im UN-Übereinkommen gegen transnationale organisierte Kriminalität von 2000 (auch „Palermo-Protokoll“ genannt) gibt es ein ergänzendes Protokoll, das bezeichnet in Artikel 3 Menschenhandel als „die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Hilflosigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die Gewalt über eine andere Person hat, zum Zweck der Ausbeutung. Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Zwangsdienstbarkeit, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Entnahme von Organen;“.
Das moralische Element
Bereits vor den Verhandlungen zu diesem Protokoll gab es wegen des moralischen Elements in der Debatte Schwierigkeiten zu einem Konsens zu kommen. Insbesondere wegen der Interpretation von Menschenhandel als sexuelle Ausbeutung und die daraus gezogene Verbindung zur Prostitution. Zwei feministische Gruppierungen stehen sich dabei klar gegenüber:
GAATW (Global Alliance against Traffic in Women) und CATW (Coalition Against Trafficking in Women). Während für die eine Gruppe die Menschenrechte der Sexarbeiter_innen im Zentrum stehen, fordern die anderen die Abschaffung der Prostitution und glauben damit den Menschenhandel reduzieren zu können. Vertreter_innen dieses abolitionistischen Diskurses sehen in jeder Art der sexuellen Dienstleistung eine Ausbeutung der Frau/en im Patriarchat. Unwichtig ist, ob diese es freiwillig macht oder nicht, denn Prostitution beherbergt in dieser Sichtweise immer einen Zwang. Daher unterscheidet diese Gruppe nicht zwischen Menschenhandel mit sexueller Ausbeutung und Prostitution. Vielmehr gilt jede Art der sexuellen Dienstleitung als eine Form des Menschenhandels. Die explizite Nennung von „Prostitution“ im Protokoll zeigt auf, wie stark diese Lobby-Gruppe war. Es fehlt eine klare Definition des Begriffs „Ausbeutung“ und gibt damit den Staaten bei der Umsetzung einen gewissen Spielraum.
Der Teufelskreis
Wie problematisch diese Sichtweise ist, haben zahlreiche Studien aufgezeigt. Häufig stecken hinter diesem Diskurs andere Interessen, die mit dem Kampf gegen den Menschenhandel durchgesetzt werden können. Es geht dabei selten um ein „Empowerment“ der ausgebeuteten Menschen. Alarmierende Zahlen über Millionen von Menschen im Menschenhandel zeichnen ein Bild eines der lukrativsten Geschäfte weltweit, das den Drogenhandel überholt hat. Die Politik fordert schnelle Aktionen gegen den Menschenhandel und rechtfertigt damit häufig eine restriktivere Politik in Bezug auf irreguläre Migration oder Prostitution. In diesem Sinn wird das Thema Menschenhandel häufig als Vorwand dafür missbraucht, um andere Interessen durchzusetzen, wie beispielsweise eine strengere Einwanderungspolitik. Dies stärkt und hilft den von Menschenhandel Betroffenen wiederum nicht, sondern zwingen sie nur mehr in den Untergrund. Ein Teufelskreis, aus dem wir nur mit differenzierten Sichtweisen und dem Fokus auf die Stärkung der Menschenrechte der Ausgebeuteten, herauskommen.
Von Caroline Ausserer, (erschienen auf der Webseite des Gunda-Werner-Instituts im März 2014)
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