Der Werwolf in mir
http://becomeamenstruator.org/
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Die Künstlerin Petra Mattheis will das Bäh-Image von Menstruation positiv umpolen – mit Rinderschädeln, Stempeln zum Selberbasteln und dem Planeten Uterus.

(Von Caroline Ausserer, in Missy Magazine Online, 22.7.2015)

Frau Mattheis, Ihre aktuelle Arbeit heißt „Become a Menstruator“, kurz „BAM“. Wie wird man denn Menstruatorin?

Den Begriff fand ich im Netz. Er besteht aus „demonstrate“ und „menstruate“. Ich will damit alle Menschen ansprechen – egal, ob sie schon, noch, nicht mehr oder gar nicht menstruieren. Alle können menstruelle AktivistInnen werden. BAM, das klingt auch nach mit der Faust auf den Tisch hauen, nach einer Comicexplosion, nach dem Motto: jetzt reicht’s!

Warum reicht es Ihnen jetzt?

Ich habe mal nachgerechnet, wie viele Menschen durchschnittlich jeden Tag in Deutschland menstruieren – es sind 2,5 Millionen. Trotzdem wird darüber nicht geredet. Menstruation wird schon so lange tabuisiert, es ist jetzt mal an der Zeit, dieses Verschweigen und Verstecken aufzubrechen.

Wie war es, als Sie das erste Mal geblutet haben?

Als Teenager habe ich immer gerechnet: Wie lange müsste ich menstruieren, wenn ich das am Stück täte? Ich kam auf etwa sechs Jahre. Und ich dachte, wenn ich die Wahl hätte, würde ich lieber am Stück bluten, damit ich es hinter mir hätte. Ich hatte zwar keine Beschwerden, habe aber ganz früh gelernt, nicht darüber zu reden. Mein erstes Blut kam, als wir bei meiner Tante waren, die war Biologielehrerin und hatte so ein kleines Heftchen. Das hat es für mich leichter gemacht, ich konnte lesen, musste nicht drüber reden. Als ich mich in das Thema einlas, habe ich gemerkt, wie es in mir brodelt und wie jede Menge Bilder entstanden. Ein schönes Bild habe ich als Kommentar im Netz gelesen: Menstruieren würde sich anfühlen, als wäre ein Werwolf im Uterus.

Wie haben Sie all das in Ihrem Projekt verarbeitet?

Ich habe Texte und Symbole zum Thema gesammelt, wie den Rinderschädel oder das Schwein. Symbole für den Uterus oder die Fruchtbarkeit. Aber auch jede Menge Euphemismen für das Bluten: Erdbeerwoche, Tante Rosa, die Kommunistische Tante. Im Amerikanischen sagt man auch Arts and Crafts Week in the Panty Camp, so habe ich meine Ausstellung genannt. In diese Namen fließen auch Ideen über die Periode ein, etwa bei Shark Week, dass du in der Zeit nicht baden gehen sollst, weil sonst die Haie kommen. So komme ich auf Bildideen. Etwa, dass die Periode so was wie ein Alien im Körper ist, etwas Fremdes, über das man nicht redet. Am Ende kommt dann so etwas raus wie der Satz: „If Uterus were a planet, I‘d be an Uterian.“

Diesen Satz haben Sie auch als Stempel erstellt.

Die Stempel habe ich als Vorlagen auf meiner Webseite veröffentlicht, man kann sie ausdrucken, nachbauen und selber verändern. Ich wollte dazu anregen, die Hemmung zu überwinden. Jemand könnte eine Performance, Musik oder einen Film daraus machen. Es ist einfach ein Startpunkt.

Sie haben auch eine Reihe von Drucken hergestellt.

Für jedes meiner fruchtbaren Jahre habe ich ein Motiv erstellt; die Auflage richtet sich nach der Anzahl der Perioden, die ich im jeweiligen Jahr hatte. Ich schreibe das schon lange auf, es schwankt zwischen 12 und 15. Mein erster Druck ist inspiriert von einem Text von Gloria Steinem aus dem Jahr 1978, dem Jahr meiner Menarche. Darin beschreibt sie, was passieren würde, wenn Männer menstruieren würden. Sie würden darüber prahlen, wie heftig die Krämpfe seien und wie viel Blut sie verlieren. Es gäbe von der Regierung kostenlose Hygieneprodukte und einen Fonds, aus dem die Arbeitstage, an denen sie nicht arbeiten könnten, bezahlt würden.

Ist Ihre Arbeit eine Reaktion auf das Bild der Menstruation in unserer Gesellschaft?

Auf jeden Fall. Auch deshalb die Entscheidung, das rot zu machen, blaue Ersatzflüssigkeit läuft aus mir nicht raus. (lacht) Es ist eigentlich eine Frechheit, wenn man sich überlegt, dass die Werbung zu Menstruationsprodukten fast ausschließlich mit Scham arbeitet. Die Performerin Chella Quint hat das schön zusammengefasst: „Don’t use shame to sell.“ Wenn du überlegst, wie lange man menstruiert, wie viel, wie oft – und trotzdem wird davon ausgegangen, dass du damit allein fertigwirst. Viele haben mir erzählt, dass ihre Mutter ihnen einfach die Packung mit den Binden hingestellt hat, ohne etwas zu sagen. Damit wird uns beigebracht, dass es etwas ist, das nur funktionieren soll, aber unsichtbar sein muss.

Ich habe mir nochmals mein Tagebuch aus der Zeit angeschaut. Ich gehöre zu jenen, denen die Mutter einfach Binden gab und nicht viele Worte darüber verlor. Im Tagebuch hatte ich es sogar mit rotem Stift vermerkt, aber ohne zu verstehen, was in mir vorgeht. Was würden Sie Mädchen heute raten?

Sich damit zu beschäftigen, sich zu überlegen: Will ich so einen großen Teil meines Lebens tabuisieren? Was gibt es für Stereotypen, wie gehe ich damit um? In meinem Manifest „28 Tage das Menstruationstabu zu überwinden“ stehen konkrete Tipps. Der Furzwitz ist in der Filmkultur schon lange verankert, jetzt ist die Menstruation dran. Jede und jeder kann mithelfen, das Bild

Brauchen wir mehr Menstruationswitze?

Und mehr Wertschätzung. Kleine Gesten zum ersten Blut können dies unterstützen: Mir hat neulich eine Mutter erzählt, dass sie an dem Tag mit ihrer Tochter lauter rote Sachen gegessen hat. Egal, was es ist. Wichtig ist, dass man nicht einfach die Hygieneprodukte hinstellt, sondern auch erklärt, wie das funktioniert. Ich möchte wissen, wie viele Frauen (und andere Menschen, die menstruieren, wie manche Transmänner, Anm. d. Autorin.) selbst herausfinden mussten, wie ein Tampon eingeführt werden soll.

Wie soll das Projekt weitergehen?

Ich will das Manifesto in mehrere Sprachen übersetzen und ich fände es spannend, wenn es auch in anderen Kulturen gezeigt wird. Menstruationstabus sind weltweit verbreitet. Ich wünsche mir, dass weibliches Blut in seiner Macht wieder lebendig wird.

Interview: Caroline Ausserer

„Arts & Crafts Week at Panty Camp“ ist noch bis zum 25.07. in der Galerie The Grass is Greener in Leipzig zu sehen. becomeamenstruator.org

Caroline Ausserer schrieb selbst ein Buch über die Erdbeerwochen: „Menstruation und weibliche Initiationsriten“, erschienen im Peter Lang Verlag.

Link zum Artikel im Missy Magazine Online