Foto: Verena Brüning
Foto: Verena Brüning
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Wie ist es, wenn Trans*-Menschen, d.h. Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt, Eltern werden? Sind Trans*familien, anders? Wie lebt es sich ausserhalb der gesellschaftlichen Norm? Caroline Ausserer – selbst Teil einer Trans*familie – hat sich für Missy auf die Suche nach anderen Trans*familien gemacht und berichtet vom transformierenden Leben mit Kind.

Als ich wusste, dass ich schwanger war, begleitete mich meine Partnerin zum ersten Termin bei meiner Gynäkologin. Als wir die Praxis betreten, ist meine Ärztin gerade dabei etwas aufzuschreiben. Ohne aufzuschauen fragt sie: „Wie habt ihr es denn gemacht – war es eine künstliche Befruchtung?“ „Nein, auf natürlichem Weg,“ sagen wir gleichzeitig. Sie blickt erstaunt auf und sagt in Julias Richtung: „Oh, ich dachte, Sie seien eine Frau.“ Und Julia daraufhin: „Bin ich auch, ich bin die Erzeugerin und die Co-Mutter.“ Der Ärztin steht ein Fragezeichen im Gesicht geschrieben. Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass wir uns erklären müssen.

Wie wenig über Trans*familien bekannt ist, zeigen Reaktionen selbst im Umfeld von Regenbogenfamilien. „Wo habt ihr es denn gemacht?“ fragt mich eine lesbische Mutter beim Babykrabbeltreff im Regenbogenzentrum. Ich reagiere langsam: „In den USA.“ „Oh“, sagt sie erstaunt, „warum seid ihr denn so weit gefahren?“ Dann erst begreife ich, worauf sie hinaus will und sage ihr, dass meine Partnerin eine Transfrau ist und wir keine Klinik aufsuchen mussten. Sie macht große Augen und sagt lächelnd: „ Also habt ihr ein Low-Tech und kein High-Tech Kind.“ Mittlerweile ist unser „Low-Tech-Kind“ Emilie Luca bald zwei Jahre alt und wir eine glückliche Trans*familie.

Wie gross der Kinderwunsch unter Trans*-Menschen ist, zeigt eine Untersuchung in Belgien auf. Dabei gaben 54 Prozent der befragten Transmänner und 40 Prozent der befragten Transfrauen an, sich Kinder zu wünschen. Über die Hälfte der Transfrauen, die sich Kinder wünschten, waren lesbisch oder bisexuell.1 In vielen Ländern ist es aber schon aus rechtlichen Gründen schwierig, Kinder zu haben. Denn für eine rechtliche Geschlechtsangleichung ist oft eine dauerhafte Unfruchtbarkeit notwendig, manchmal verbunden mit Kastration. Dazu gehören 24 Länder in Europa, 15 davon sind in der EU.2 Mit dabei sind Länder wie Frankreich, Italien, die Schweiz, Belgien oder Dänemark und bis vor kurzem auch Deutschland. Mit der Entscheidung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2011 wurde diese Forderung jedoch als verfassungswidrig erklärt und abgeschafft. Auch wenn dies ein grosser Fortschritt ist, fehlen immer noch zahlreiche Folgegesetze, die beispielsweise die rechtliche Situation von gebärenden Transmännern und zeugenden Transfrauen regelt.

„Mama daaaa!“ ruft Emilie, zeigt entschieden auf Julia und tappt freudig auf sie zu. Julia fängt sie auf und wirbelt sie durch die Luft. Emilie gluckert und ruft: „Mehr!“ Seit kurzem unterscheidet Emilie ganz genau zwischen uns beiden mit „Mami“ und „Mama“. Nichtsdestotrotz ist Julia als „Vater“ in die Geburtsurkunde unseres Kindes eingetragen. Dies haben wir den Paragraphen zu verdanken, die verhindern sollen, dass unsere Geschlechterordnung aus den Fugen gerät. Damit wir es nicht auf einmal mit Männern zu tun haben, die Kinder austragen oder mit Frauen, die Kinder zeugen, muss ein Transmann, der ein Kind gebärt, rechtlich „Mutter“ genannt werden. Und eine Transfrau gilt als „Vater“ ihres leiblichen Kindes. Das deutsche Transsexuellengesetz (TSG), das seit langem von Transvereinigungen kritisiert wird, sieht eine Aberkennung des Vornamens bei Geburt eines Kindes vor. D.h. dass Julias Name, sofern sie eine Vornamensänderung beantragt hat, bei Geburt eines Kindes aberkannt wird und sie ihren alten männlichen Namen führen müsste. Die ähnliche Regelung beim Eingehen einer Ehe wurde bereits 2008 vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Davor war Ehelosigkeit eine Voraussetzung für eine rechtliche Anerkennung der neuen Geschlechtszugehörigkeit, d.h. verheiratete Paare mussten sich scheiden lassen, wenn eine/r der beiden eine rechtliche Geschlechtsanerkennung anstrebte.

Für Julia steht fest, dass eine rechtliche Geschlechtsanerkennung viel einfacher sein müsste. Zum Beispiel so, wie es Argentinien 2012 vorgemacht hat. „Dort ist es nur mehr ein einfacher Verwaltungsakt“, freut sich meine Partnerin, die auch Mitbegründerin und Geschäftsführerin des europäischen Netzwerks Transgender Europe (TGEU) ist. „Im Grunde gibt es wenig Argumente, warum Geschlecht überhaupt irgendwo eingetragen werden soll. Ich hoffe, dass eines Tages der Geschlechtseintrag ganz wegfällt,“ sagt sie, wirft unser lachendes Kind in die Luft und fängt es wieder auf.

Szenenwechsel. Wir sind in einem kleinen queeren Café in Berlin Neukölln. „Wir wollten eine stinknormale Familie sein und so ist es jetzt auch,“ sagt Sam und blickt ernst durch seine dunkle Brille. Sam und Esther (40 und 42, Namen auf Wunsch geändert) haben sich ihren Kinderwunsch durch Adoption erfüllt. Heute ist die kleine Annika (Name geändert), die nur ein paar Tage alt war, als sie zu ihnen kam, fast vier Jahre alt. Das extrem bürokratische Verfahren wurde erst abgeschlossen, als Annika bereits 2,5 Jahre alt war. Seitdem feiern sie zwei „Familiengeburtstage“: einmal den Tag, als sie Annika abholen durften und zweitens den rechtlichen Termin, der bestätigte, dass sie ihr gegenüber nun alle Rechten und Pflichten wie leibliche Eltern haben.

„Meine Transition habe ich begonnen, als wir uns verliebt haben“, erzählt Sam ruhig. Recht schnell sei es dann um das Thema Kinder gegangen. Selbst schwanger zu werden, habe sich Sam niemals vorstellen können. „Das ist für mich wie Kopffasching“, lacht er und fügt hinzu: „Obwohl ich andere bewundere, die das können.“ Für Esther kam aus verschiedenen Gründen künstliche Befruchtung nicht in Frage und so entschieden sie sich für Adoption. Eine Voraussetzung dafür war Heirat, also heirateten sie. Sam hatte zu der Zeit bereits „alles durch“, d.h. Vornamens- und Personenstandsänderung hinter sich.

Das Auswahlverfahren bei der Adoptionsvermittlungsstelle war aufreibend und mühsam. Fünf Monate lang fanden jeden Monat Gespräche statt. „Alles wird gefragt, man muss sich ‘nackt’ machen“, erzählt Sam. Eine besondere Herausforderung stellte der geforderte „emotionale Lebenslauf“ dar, der über Herkunftsfamilie, Arbeit, Paarbeziehung, sowie Trauerarbeit wegen einer vermeintlichen Unfruchtbarkeit berichten sollte. „Damit es für mich passt, habe ich ihn geschlechtsneutral geschrieben“, schmunzelt Sam. Als alles vorbei war und sie nur noch auf das Abschlussgespräch warteten, bekamen sie eines Tages einen Anruf. „Wir wollten gerade umziehen und sassen auf unseren gepackten Kisten, da sagt uns die Adoptionsstelle, dass soeben ein kleines Mädchen geboren war und wir am nächsten Tag vorbei kommen sollten.“ Sam bekommt immer noch feuchte Augen, wenn er daran denkt. „Es war eine Achterbahn der Gefühle.“

Mittlerweile ist das Leben mit Annika und Esther für Sam „das perfekte Glück“. Das Transsein ist in den Hintergrund gerückt, nur der Freundeskreis und enge Mitarbeiter_innen wissen davon. „Wir Transmänner gehen oft in der Masse unter – anders als Transfrauen, die in der Öffentlichkeit häufig nicht so unbemerkt als Frauen durchgehen .“ Für sich selbst empfindet er dies als Vorteil, weil er sich diese Normalität gewünscht hat. „Niemand dreht sich mehr um nach mir, diese Last ist nun weg.“

Sicher werde das Thema Trans irgendwann mit Annika zur Sprache kommen, doch sieht Sam eher das Thema Adoption für sie als vorherrschend an. „Wir wissen um unsere Besonderheit als Familie. Annika wächst nicht heteronormativ auf“, sagt Sam. „Sie sieht andere Paare oder Konstellationen mit Kinder, die nicht in das zweigeschlechtliche Schema passen und geht sehr offen damit um.“ Genau diese Offenheit und Normalität wünscht sich Sam auch für Trans* in der öffentlichen Wahrnehmung. Und mit Nachdruck: „Wir sind keine Freaks, sondern Menschen, die vieles sind, unter anderem auch trans*.“ Sams Worte hallen durch das leere Café und bleiben mir im Kopf als wir an die regnerische Strasse treten und uns verabschieden.

Lio (bald 3) klettert die Leiter auf sein Stockbett rauf und rutscht auf der anderen Seite runter. Mit Gelächter plumpst er in die Kissenlandschaft und rappelt sich schnell wieder hoch. „Nochmal!“ Mila steht lächelnd daneben, Daiwa hält die fünf Monate alte schlafende Juli auf dem Arm.

Die beiden haben als Freund_innen beschlossen, gemeinsam eine Familie zu gründen – ganz ohne Liebesbeziehung. Sie kannten sich gut, hatten in einer WG zusammen gewohnt und die Idee war schon ein paar Jahre alt, als sie sie schließlich in die Tat umsetzten. „Es war schön!“ lachen beide. Für Lios Zeugung hatten sich zu „Sexdates“ getroffen, bei Juli haben sie sich für die sogenannte „Bechermethode“ entschieden. Obwohl sie zuvor alles mögliche besprochen und klare Vereinbarungen getroffen hatten, habe die Tatsache gemeinsam ein Kind zu bekommen, doch die „Mühle der Beziehungsarbeit“ in Gang geworfen. „Vorher war es wie Trockenschwimmen“, schmunzelt Mila. Die beiden wohnen zusammen, bewahren sich aber ein eigenes Leben jenseits der Familie. Ausserdem hat Lio drei Bezugspersonen, mit denen er einmal die Woche was unternimmt, für Juli haben Daiwa und Mila dasselbe vor. „Uns ist es wichtig, auf unsere Bedürfnisse zu achten und uns gegenseitig Freiräume zu schaffen. Es ist ein enormes Zusammenwachsen und alles muss verhandelt werden,“ fügt Mila hinzu und kriecht mit Lio unter eine Decke unter dem Stockbett.

„Als ich als Lesbe schwanger wurde, kam es zu einer großen Konfrontation mit den traditionellen Bildern von Familie“, erzählt Daiwa. Da Mila zu der Zeit noch „fließend zwischen den Geschlechtern unterwegs“ war, wurden die beiden in der Öffentlichkeit oft als heterosexuelles Paar wahrgenommen. Während Mila eher daran gewöhnt war, falsch gelesen zu werden, hatte Daiwa mehr Schwierigkeiten damit, sich von diesen Bildern abzugrenzen. „Mittlerweile werden wir wohl mehr als lesbisches Paar gesehen“, vermutet Daiwa und blickt auf die mittlerweile aufgewachte Juli in ihrem Schoss, die mit ihren Beinchen strampelt. „Ich frage mich, warum sich Menschen immer weniger nach uns umschauen auf der Strasse. Womöglich ist das Bild der Familie doch viel weiter als wir denken?“

Mila hat letztes Jahr ihre Transition vollzogen und wird in der Öffentlichkeit immer mehr als Frau gelesen. In den Geburtsurkunden ist sie dennoch als Vater eingetragen. Dies führe mitunter zu absurden Situationen: „Letztens haben wir Bankkonten für unsere Kinder eröffnet und für Juli die Geburtsurkunde vorzeigen müssen. Das war gleichzeitig ein Zwangsouting“, klagt Mila. Es gibt die Regelung, dass die Geburtsurkunden der Kinder von Personenstands- und Vornamensänderung unberührt bleiben müssen. Als Grund wird das Wohl des Kindes genannt. Mila schnaubt verärgert: „Warum soll es für unser Kind besser sein, dass in der Geburtsurkunde ein Name einer Person steht, die es nicht kennt?“ Mila nimmt Juli in den Arm, diese greift an ihre Brust. Lio wechselt zu Daiwa und sie beginnen mit einer hölzernen mehrstöckigen Murmelbahn zu spielen. Kommt die Murmel unten an, läutet ein Glöckchen.

„Bislang haben wir keine schlechten Erfahrungen gemacht“, berichtet Daiwa. „Nur einmal sagte eine Jugendliche zu Lio: Du Armer, hast keinen Papa!“ Sie wünsche sich, dass die Menschen offener ihre Irritation zeigen. „Damit offenbaren sie ja ihre eigenen Vorstellungen über Familie, die dann in Frage gestellt werden können.“ Besonders wichtig sei es, jenen Vorurteilen die Stirn zu bieten, die meinen, Familie und Trans* passe nicht zusammen. „So als wäre Familie als Wert nur jenen Menschen vorbehalten, die ein sogenanntes normales Leben führen“, findet Daiwa und hilft Lio beim Suchen einer Murmel, die zwischen die Kissen gerollt war.

Tagtäglich erleben wir, wie stark unser Denken von heteronormativen und zweigeschlechtlichen Bildern geprägt ist. Dies gilt auch und insbesondere für Vorstellungen zu Familie. Fallen Familien aus dem erwarteten Raster hinaus, müssen sie sich zumeist erklären, rechtfertigen, abgrenzen und schützen. Woran mag es wohl liegen, dass unterschiedliche Familienformen oft weder eine gesellschaftliche noch rechtliche Anerkennung finden? Das Kindeswohl kann dabei nicht im Zentrum der Überlegungen stehen, vielmehr wohl Ignoranz, Ängste oder Unsicherheiten. So fragte mich kürzlich ein Handwerker in unserem Treppenhaus: „Wo ist dein Mann?“ Als ich im Vorübergehen murmle, keinen zu haben, wird er wütend: „Woher kam dann das Kind? Vom Himmel?“

Von Caroline Ausserer, (etwas überarbeitet erschienen im Missy Magazine #01/14)

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