„Wohnen hört nicht an der Haustür auf“
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Mit Emanzipation, neuen Beziehungsformen und Arbeitsbedingungen hat sich für Frauen vieles verändert. Die feministische Architekturplanung reagiert auf die Entwicklungen. Interview mit FOPA-Mitglied Helene Rettenbach (58), Innenarchitektin und im Vorstand von PlanWerkStadt.de, dem Institut für Stadtentwicklung und Projektberatung e.V. in Wiesbaden.

L-MAG: Wohnen Frauen anders?

Frauen wohnen anders, weil Frauenleben vielgestaltig ist. Es ist wichtig, mehrere Ebenen gleichzeitig zu beachten und berufliche Zusammenhänge mit privaten zu verbinden. Wohnen hat viel mit dem alltäglichen Leben zu tun. Grundsätzlich spiegeln sich gesellschaftliche Entwicklungen im Wohnen wider.

L-MAG: Wie hat sich das Wohnen für Frauen über die Zeit verändert?

In der historischen Entwicklung ist eine Bewegung aus dem Haus hinaus zu beobachten. Früher waren Frauen ja ans Haus gebunden. Durch die Veränderung der Frauenrolle kam es zu einer Trennung von Funktionen: einer Trennung des Freizeitbereichs vom Arbeitsort beispielsweise. Wenn Frauen berufstätig werden, bekommt die Wohnung eine andere Bedeutung. Mittlerweile zeigt der Trend mehr in die andere Richtung, zurück ins Haus: Wohnen ist nicht mehr von anderen Funktionen zu trennen. Die Wohnung ist gleichzeitig Wohn-, Arbeits- und Freizeitbereich.

L-MAG: Was ist frauengerechter Wohnungsbau? Was sind die Kriterien dafür?

Frauengerechtes Planen und Bauen bezieht die Lebensansprüche von Frauen mit ein. Es ist eine Diskussion aus den 80er oder 90er Jahren, die – auch von der Frauenbewegung inspiriert – andere Stadt- und Wohnformen forderte. Wohnen hört ja nicht an der Haustür auf. Insgesamt hat die Debatte viele Veränderungen angestossen, wie beispielsweise das heute gängige Leitbild für Stadtplaner_innen der „Stadt der kurzen Wege“. Damit ist gemeint, dass räumliche Strukturen so sein sollten, dass z.B. arbeiten und einkaufen auf einem Weg (per ÖPNV) möglich ist. Dafür braucht es im Stadtteil eine Mischung quartiersbezogener Angebote. Innerhalb der Wohnung drückt sich die Verbindung von Funktionen z.B. in der heute gängigen Idee der offenen Wohnküche aus, in der die Hausarbeit mit anderen Aktivitäten kombiniert werden kann. Genauso rührte die Forderung, dass Frauen im Wohnzusammenhang ein Zimmer für sich beanspruchen können von dieser feministischen Diskussion.

L-MAG: (Wie) wird heute frauengerecht gebaut? Haben Sie Beispiele?

Frauengerechtes Bauen stand in den 90er Jahren in der Blütezeit und bezog weibliche Lebenswelten ins Planen und Bauen bewusst mit ein. Ein Beispiel ist der Realisierungswettbewerb “Frauengerechtes Bauen und Wohnen” bei dem 1997 z.B. in Wiesbaden ein Modellvorhaben realisiert wurde. Zwei Häuserzeilen umfassen neben offenen Wohnküchen auch Begegnungsräume, in denen eine gemeinsame Kinderbetreuung möglich ist, sowie genügend Individualräume. Wohnungen konnten im Flur über Türen miteinander verbunden werden, sodass z. B. zwei Alleinerziehende ihre Wohnungen verbinden und den Alltag miteinander organisieren konnten. Außerdem sollte es ökologisch und kostengünstig sein. Mit dem Gender Mainstreaming wird die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Anforderungen bei Planungsvorhaben zwar grundsätzlich verlangt, aber nicht mehr explizit „frauengerechtes Bauen“ genannt. Insgesamt hat sich die Vielfalt an Wohnformen sehr verändert. Viele ältere Menschen, darunter besonders viele Frauen, leben allein und wünschen sich selbstorganisiertes Wohnen in enger Nachbarschaft. Ihnen begegnet man besonders häufig in gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Der 2009 erschienene Leitfaden “Frauenwohnprojekte – keine Utopie!” über die Entwicklung autonomer Frauen(wohn)räume analysiert die realisierten Projekte in Deutschland und zeigt, dass der “Frauen-Blick” dabei nicht verloren gegangen ist.

L-MAG: Was ist FOPA für eine Organisation?

FOPA bedeutet Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen und ist bereits 1981 in Berlin entstanden. Im Rhein-Main-Gebiet trifft sich bis heute lockeres Netzwerk von Fachfrauen, um sich über die weibliche Perspektive auf Planungsthemen auszutauschen.

L-MAG: In welcher Tradition steht ihr als Architektinnen oder Stadtplanerinnen?

Wir stehen in der Tradition einer feministischen Sicht auf die Welt. Wir wollen, dass die weibliche Perspektive als wichtige und besondere berücksichtigt wird.

Caroline Ausserer, (erschienen L-MAG März/April 2014)