Pride Parade 2012 im mexikanischen Ciudad. Foto: Ismael Villafranco. Creative Commons LizenzvertragDieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.
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Der mexikanische Bundesstaat Coahuila führt die gleichgeschlechtliche Ehe ein. Neben Gesetzen zur Stärkung LSBTI-Menschen gibt es aber auch zunehmend konservative Tendenzen. Ein Blick auf die Arbeit der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko.

Lesbische und schwule Paare können im südlichen mexikanischen Bundesstaat Coahuila seit September heiraten. Am 1. September 2014 stimmten 20 stimmberechtigte Abgeordnete über den entsprechenden Gesetzesentwurf ab und nahmen ihn mit nur einer Gegenstimme an; er trat am 17. September in Kraft. Bereits am 20. September heiratete das erste schwule Paar in Saltillo, der Hauptstadt Coahuilas. In noch zwei weiteren Orten in Mexiko ist dies für gleichgeschlechtliche Paare möglich: in der Landeshauptstadt Mexico City und im Bundesstaat Quintana Roo.

„So erfreulich diese Entwicklung ist, sie ist doch auch Zeichen für die Widersprüchlichkeit des Themas in Mexiko. Denn LGBTI-Themen sind nur sehr punktuell im Land akzeptiert und die Diskriminierung ist nach wie vor erheblich“, sagt Annette von Schönfeld, Leiterin des Auslandsbüros in Mexiko der Heinrich-Böll-Stiftung. „Die Hauptstadt Mexiko Stadt ist wie eine Insel, hier sind schwule Pärchen mittlerweile Teil des Alltagsbildes. Aber in bestimmten Stadtteilen ist es anders und sobald man die Landeshauptstadt verlässt, ebenso. Leider gibt es in Mexiko immer noch viel Diskriminierung und auch in Coahuila ist es nicht ‘normal’ sich zu outen – trotz der fortschrittlichen Gesetze. Zuerst muss sich was in den Köpfen ändern.“ Deshalb hat die Stiftung in Mexiko begonnen, Projekte zu LSBTI-Themen umzusetzen und zu unterstützen.

Bei der ersten Initiative 2013 ging es um Geschlechtsidentität im Zuge dessen mit unterschiedlichen Aspekten geschlechtlicher Identität experimentiert wurde. Es gab die Möglichkeit, an Workshops mit der Performance-Künstlerin Diane Torr teilzunehmen und an mehreren Orten in Mexiko wurde der Film „Man for a Day“ von Katarina Peters von 2012 gezeigt, der auf großes Interesse stieß. Insgesamt haben bei den vier Filmvorführungen etwa 1.000 Menschen den Film gesehen. In dem Film beobachtet die Regisseurin den Verlauf eines Berliner Workshops von Diane Torr, in dem eine Gruppe aufgeschlossener Frauen sich mit den Geheimnissen des Mannseins vertraut macht. Wo und wann wird die geschlechtliche Identität formatiert? Torrs mittlerweile weltweit abgehaltenen Workshops sind legendär und gelten als soziales Experiment mit offenem Ausgang. Die Workshop-Teilnehmerinnen erhielten ein „Mehr an Instrumentarium“, das sie im täglichen Leben anwenden können. „Ich weiß von einer Teilnehmerin, die sich bestimmte Positionen oder Gesten immer wieder in Erinnerung ruft, um mit schwierigen Situationen im Alltag besser zurecht zu kommen“, erzählt Annette von Schönfeld schmunzelnd. Besonders spannend fand die Büroleiterin jedoch die Diskussionen, die an die Filmvorführungen anschlossen. „Toll war, dass sich die anwesenden Männer konstruktiv und selbstreflexiv an den Debatten beteiligt haben.“ Dies sei nicht nur für sie, sondern auch für Diane Torr und Katarina Peters überraschend gewesen.

Nach diesem „Testballon“ sollte es mit der Unterstützung von LSBTI Projekten von Seiten der Stiftung in Mexiko weitergehen. Bei einem der Jour Fixe, bei denen es um Themen aktueller Politik geht, wurde Ende Juni 2014 – passend zur CSD-Saison – das Thema „Identidades en movimiento: Género y diversidad sexual en México“ (Identitäten in Bewegung: Gender und sexuelle Diversität in Mexiko“) diskutiert. Mit dabei waren über hundert Teilnehmer_innen. Auf dem Podium saßen Diana Sánchez Barrios, eine bekannte Transfrau in Mexiko-Stadt, die Sozialarbeiterin Berenice Vargas Ibañes und Patria Jiménez Flores, die Koordinatorin der Lesben-Organisation El Closet de Sor Juana. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Situation der LSBTI Menschen in Mexiko und der Schutz ihrer Menschenrechte. Einerseits würden – so der Tenor der Diskussion – in Mexiko-Stadt eine Reihe progressiver Gesetze erlassen, wie der Schutz gegen Transphobie oder die freie Wahl der Reihung der Familiennamen, sowie das bereits genannte neue Gesetz in Coahuila, andererseits bekämen konservative Tendenzen immer mehr Gewicht. So wurde erst kürzlich eine Familienkommission im Senat geschaffen, die konservative familienpolitische Gesetzesentwürfe erlässt und sich gegen Abtreibung und die Möglichkeit der Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren wendet. „Es war eine sehr erfolgreiche Veranstaltung mit einem kritischen Publikum, das die Befürchtung äußerte, dass Fortschritte leicht wieder rückgängig gemacht werden können“, sagt Annette von Schönfeld. „Man hat das Gefühl, man sitzt auf einem Pulverfass.“

Die Heinrich-Böll-Stiftung richtet ihr Augenmerk auch auf junge LSBTI-Migrant_innen. „Viele Lesben oder Schwule und Trans*Menschen flüchten, weil sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Diskriminierungen, Gewalt und Übergriffen ausgesetzt sind. Auch auf der Flucht sind diese häufig jungen Menschen anderen Gefahren als Nicht-LSBTI-Flüchtlinge ausgesetzt“, weiß die Büroleiterin. „Daher haben wir beschlossen, deren Belange aufzugreifen, sie zu unterstützen und dadurch auf das Problem aufmerksam zu machen.“ Zahlreiche tragische Geschichten und Schicksale zeugen davon, wie gefährdet und wie schutzbedürftig diese Menschen sind. Zunächst wird die Partnerorganisation „Migrantes LGBT“ unter dem Dach von Casa Refugiados A.C. Informationsmaterial erstellen, das in den Migrant_innenherbergen vorgestellt wird. Dabei geht es zum Beispiel um die Fragen: Wie geht man mit LSBTI-Flüchtlinge um? Wie kann man sie ansprechen? Wie sollen sie untergebracht werden? „Es ist eine bemerkenswerte politische Initiative, die eine höhere Sichtbarkeit des Themas erreichen möchte und die wir besonders unterstützenswert finden“, sagt Annette von Schönfeld.

Ein weiteres Projekt, das dieses Jahr gemeinsam mit der Partnerorganisation „Jovenes LGBTI“ begonnen wurde, will Jugendliche LSBTI Personen in ganz Mexiko miteinander vernetzen. Unter dem Titel „Fortalécete LGBTI“ („Stärkt LSBTI“) soll erstmals in Mexiko ein virtueller und interaktiver Raum, eine Plattform zum Austausch für junge Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Inter*-Menschen entstehen. „Ziel ist nicht nur die Vernetzung untereinander, sondern es geht auch darum Jugendliche zu befähigen, in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Arbeit, Technologie und Umwelt in der Gesellschaft mitzureden und diese mit zu gestalten“, sagt die Büroleiterin und fügt hinzu: „Diese Jugendlichen möchten eine eigene nationale politische Agenda der jungen LSBTI Menschen auf die Beine stellen.“ Diese ehrgeizige Initiative vereint ganz unterschiedliche Gruppen, wie lesbische Mütter aus Monterrey mit schwulen Sportgruppen in Mexiko City. Aus der Initiative spricht Selbstbewusstsein und ein Veränderungswille, der bewundernswert ist.

„Insgesamt sind es viele junge Projekte, die wir fördern. Dies macht es aber auch so spannend. Wir werden das Thema LSBTI in Mexiko weiter begleiten und sind gespannt, wie die einzelnen Initiativen laufen“, erklärt von Schönfeld abschließend.

Von Caroline Ausserer

(Veröffentlicht auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung, Oktober 2014)