Religion und Homosexualität: ein vermeintlicher Widerspruch
GADO
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Die Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans* und Interpersonen wird häufig mit religiösen Erklärungen gerechtfertigt. Wie der Widerstand gegen diese Argumentation wächst, berichtet Caroline Ausserer.

Religiös zu sein und zugleich schwul – das wird oft als Widerspruch gesehen. Doch viele LGBTI-Personen sind religiös, fürchten sich aber davor, dies offenzulegen. Religiöse Führer unterschiedlicher Glaubensrichtungen sind bei der Verurteilung gleichgeschlechtlicher Sexualität oft einer Meinung. Öffentliche homophobe Reden können als implizite Erlaubnis aufgefasst werden, Homophobie freien Lauf zu lassen. So sei es laut einer Studie von Amnesty International nach einer homophoben Predigt von Erzbischof Tonyé Bakot im Kamerun vermehrt zu Überfällen auf LGBTI-Personen gekommeen.

Homosexualität im Islam

Nicht nur christliche Religionsgemeinschaften, auch muslimische Gläubige haben häufig ein schwieriges Verhältnis zu Homosexualität. Der Koran fordert nach konservativer Auslegung die Bestrafung von Homosexualität und in manchen Ländern werden homosexuelle Handlungen mit dem Tod geahndet. Unter dieser extremen Situation leiden queere Muslime, insbesondere wenn sie von ihren Familien ausgestoßen werden oder ihr Land verlassen müssen.

Diesem Thema widmet sich Muhsin Hendricks, 47, islamischer Gelehrter aus Südafrika. Er ist der weltweit erste offen schwule Imam und leitet die Non-Profit-Organisation „The Inner Circle“ in Kapstadt, die queeren Muslimen hilft, den Islam mit ihrer sexuellen Orientierung in Einklang zu bringen. Die Heinrich-Böll-Stiftung in Südafrika arbeitet mit TIC zusammen und unterstützt beispielsweise das jährliche Global Queer Muslim Network Treffen (LGBTI-Projektarbeit der Böll-Stiftung in Südafrika).

Muhsin Hendricks stellte im September 2014 in Berlin sein Filmprojekt „Fitrah“ (OmU, 2013, 48 min) vor. Darin schildern schwule, lesbische und transgender Muslime ihre persönlichen Erfahrungen mit Ausgrenzung und Gewalt, die im Namen des Islam begangen wurden. Für den engagierten Imam schließen sich Religion und Homosexualität keineswegs aus. Er arbeitet mit einer inklusiven Interpretation des Islam. Wer den Koran richtig interpretiere, wisse, dass Homosexualität keine Sünde sei, sagt er im Interview mit Jannis Hagmann in der Tageszeitung taz und auf qantara.de, einem Online-Projekt der Deutschen Welle. So sei zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert – im goldenen Zeitalter des Islam – Homosexualität auf hohe gesellschaftliche Akzeptanz gestoßen. Hendricks verweist beispielsweise auf homoerotische Poesie des Dichters Abu Nuwas unter der Herrschaft des Kalifen Harun al-Raschid, die toleriert wurde. Der Gelehrte hat sich ausführlich mit der Geschichte von Sodom und Gomorra auseinandergesetzt und kam zu dem Schluss, dass es sich dabei nicht um das Verbot von Homosexualität handle. Vielmehr reichen die Untaten, die die “Leute von Lot” begingen von Polytheismus über Raub bis hin zu wirtschaftlicher Ausbeutung und Vergewaltigung. Diese Art von Verbrechen würde in der Geschichte von Sodom und Gomorra verurteilt.

Im Interview sagt der Imam auch, dass einige Verse im Koran auf nicht-binäre Geschlechtsidentitäten hinweisen. Er interpretiert eine Sure, dass die Menschen von Natur aus so seien, wie sie seien, und es nicht an uns liege, darüber zu urteilen. Er betont, dass alles, was ein Muslim tue, mit seiner fitrah, seiner Natur, übereinstimmen müsse. Bei der Filmvorstellung in der Heinrich-Böll-Stiftung sagt Muhsin: „Du kannst kein guter Muslim sein, wenn du zu dir selbst nicht ehrlich bist.“ Offen mit der eigenen Sexualität umzugehen, sei daher im Islam nicht nur akzeptabel, sondern geboten.

Kriminalisierung

Leider wird der vermeintliche Widerspruch zwischen Religion und Homosexualität weiterhin dafür verwendet, eine Kriminalisierung von Homosexualität zu rechtfertigen. Eine Studie der ugandischen LGBTI-Organisation SMUG (Sexual Minorities in Uganda) von 2014 rechnet religiöse Argument zu den zahlreichen Mythen, die für die Verschärfung der Gesetze gegen Homosexuelle verwendet werden.

Mit welcher Heftigkeit Religion als Argument gegen Homosexualität herangezogen wird, zeigt der Dokumentarfilm „God Loves Uganda“ von 2013. Regisseur Roger Ross Williams dokumentiert darin die Rolle der amerikanischen evangelikalen Bewegung in Uganda und deren Einfluss auf die afrikanische Kultur, indem Werte der amerikanischen Rechten importiert werden. Mit erschreckender Intensität wird rhetorische Hetze gegen Schwule und Lesben gemacht. Die Filmemacher begleiten im Film amerikanische und ugandische religiöse Führer, die sogenannte „sexuelle Immoralität“ bekämpfen und Ugander/innen in fundamentalistische Christ/innen konvertieren möchte. Er zeigt den immer größer werdenden Einfluss von evangelikalen Kirchen auf eine verschärfte Gesetzgebung gegen Homosexualität.

Und doch gibt es in größeren Religionsgemeinschaften durchaus vermehrt tolerante Einstellungen. Einige christliche und muslimische Kirchenoberhäupter rufen zu religiöser und sozialer Akzeptanz von Andersartigkeit und Vielfalt auf und wenden sich dezidiert gegen die Diskriminierung von LGBTI-Personen.

So hat sich beispielsweise Erzbischof Desmond Tutu immer wieder gegen die Verfolgung und Kriminalisierung von LGBTI-Menschen ausgesprochen: „I have no doubt that in the future, the laws that criminalise so many forms of human love and commitment will look the other way the apartheid laws do to us now – so obviously wrong.“ („Ich hege keine Zweifel, dass in der Zukunft, die Gesetze, die so viele Formen von menschlicher Liebe und Verbindlichkeit kriminalisieren, als falsch angesehen werden, genauso wie die ehemaligen Apartheid-Gesetze in Südafrika betrachtet werden).

Auch Bischof Christopher Ssenyonjo vom St. Paul’s Reconciliation and Equality Centre (SPREC) in Kampala/Uganda setzt sich unermüdlich für die Rechte von LGBTI-Menschen ein. Er protestierte 2011 öffentlich gegen die Ermordung des Menschenrechtsaktivisten David Kato und ist auch Darsteller im oben genannten Film „God Loves Uganda“. Für ihn besteht die zentrale Botschaft von Jesus im Aufruf zur Nächstenliebe: „’Love one another as I have loved you.’ And I cannot see how a person loves another by discriminating against that other person without going deep into what are the causes of this person to be what that person is. Humbly, without intimidation.“ (Liebt einander so wie ich euch geliebt habe. Dies kann man nicht, wenn man eine andere Person diskriminiert. Wir sollten einander lieben. In Demut – ohne Einschüchterung.“)

Eine weitere wichtige Stimme ist Inclusive and Affirming Ministries (IAM) in Kapstadt, eine der größten glaubensbasierten LGBTI-Organisation in Afrika seit 1995, mit der auch die Heinrich-Böll-Stiftung zusammenarbeitet. Ihr Leitsatz lautet „By the Grace of God – I am what I am“ (Bei der Gnade Gottes – ich bin was ich bin). Sie betreiben Aufklärungsarbeit mit kirchlichen Institutionen, indem sie vermeintliche Verbote von Homosexualität durch die Religion thematisieren und beispielsweise mit kritischen Bibel-Interpretationen bearbeiten. IAM vertritt die Vision, dass Glaubensgemeinschaften offen für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender sein sollen, um sie in ihrer spirituellen, psychologischen und sexuellen Identität zu stärken. Auch Eltern, Familie und Freunde von LGBTI-Personen sind bei Beratungen, Trainings oder Workshops willkommen. Außerdem gibt IAM Infobroschüren, Arbeitsmaterialien und Schulungsmaterial heraus.

Eine weltweit agierende Organisation, die sich mit Religion und Homosexualität auseinandersetzt, ist The Other Sheep (OSA). Sie konzentriert sich auf den christlichen Glauben und engagiert sich für ein Empowerment von gläubigen LGBTI-Menschen. Obwohl ursprünglich in Südamerika entstanden, gibt es auch einen afrikanischen Teil. Ziel ist eine Welt, in der sexuelle und andere Minderheiten Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte genießen können. Mit Seminare, Umfragen, aber auch glaubensübergreifenden Konferenzen sollen Vorurteile abgebaut und gemeinsame Strategien für mehr Akzeptanz gefunden werden.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass der Widerstand gegen die religiöse Verdammung von Homosexualität wächst, stellt die KwaZulu Resolution von Ende August 2014 dar. In Südafrika trafen sich Aktivist/innen, Wissenschaftler/innen und religiöse Vertreter/innen aus zehn afrikanischen Ländern in KwaZulu um über Sexualität, Religion und Gleichberechtigung zu sprechen. Mit dabei war auch die ugandische Rechtsprofessorin Sylvia Tamale. Sie verabschiedeten die KwaZulu Resolution, die die Dämonisierung und Kriminalisierung von sexuellen Minderheiten verurteilt. Nachzulesen auf der Seite des Global Faith and Justice Project.

Statt Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Geschlechtsidentität zu diskriminieren, sollten Religionen vielmehr Homophobie den Kampf ansagen und mithelfen, offene Gesellschaften zu schaffen, die Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersex-Menschen in ihrer Vielfalt akzeptieren.

Fitrah – Official Trailer 2013 (Englisch)

 

Fitrah. Negotiating Islam, Sexual Orientation and Gender Identity
(OmU, 2013, Regie: Muhsin Hendricks, 48 min, Südafrika)

In seiner 2013 erschienenen Dokumentation reflektiert Imam Mushin Hendricks aus Südafrika den Umgang mit Homosexualität und Geschlechtsidentität in muslimischen Ländern. Vor der Kamera schildern schwule, lesbische und transgender Muslime ihre persönlichen Erfahrungen mit Ausgrenzung und Gewalt, die im Namen des Islam begangen wurden. Der Film zeigt auch, dass die Portraitierten nicht länger bereit sind, ihre Entrechtung und Diskriminierung widerstandslos hinzunehmen.

Muhsin Hendricks wuchs in Kapstadt auf und ist weltweit der erste offen schwule Imam. Heute leitet der die NGO „The Inner Circle“, die homosexuelle Muslim/innen unterstützt, ihren Glauben mit ihrer sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen.

 

Artikel erschienen als Teil des Dossiers “Queer Afrika – auf dem steinigen Weg zur Gleichberechtigung” auf der Heinrich Böll Webseite

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