LSBTI in Kenia: Viel Progressives bei großer Ablehnung
Foto: privat
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Welche Schwierigkeiten und Wege gibt es, zu LGBTI-Themen in Kenia zu arbeiten? Ein Interview mit Katrin Seidel, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Nairobi.

Boell.de: Für gleichgeschlechtlichen Sex kann es in Kenia bis zu 14 Jahre Gefängnis geben. Trotzdem ist bislang angeblich noch niemand unter dem Gesetz verurteilt worden. Warum nicht?

Katrin Seidel: In Kenia steht der männliche homosexuelle Akt unter Strafe, nicht die Homosexualität an sich. Das Strafgesetzbuch ist bezüglich der sexuellen Handlung „wider die Natur“ sehr vage, es ist interpretierbar. Da es schwierig ist, einen männlichen sexuellen Akt nachzuweisen, denn eine physische Untersuchung kann man ablehnen, gab es bisher noch keine Verurteilungen.

Das bedeutet aber nicht, dass es nicht viele strafrechtliche Verfolgungen von LGBTI-Menschen gibt. Es werden andere Möglichkeiten verwendet, wie die „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ oder die „Vortäuschung falscher Tatbestände“ – gerade im Falle von Trans*-Menschen – um Strafverfolgung einzuleiten und Leute zu inhaftieren. Dann werden Bestechungsgelder verlangt, um sich aus so einer Situation freizukaufen.

Das weltweit heftig kritisierte Gesetz im Nachbarstaat Uganda, das auf homosexuelle Akte lebenslange Haftstrafen aussetzte, wurde mittlerweile als verfassungswidrig erklärt. Eine Gruppe von Abgeordneten in Kenia hat sich die Verschärfung der Gesetzeslage zu dem Thema auf die Fahnen geschrieben. Wie sehen Sie die politische Lage?

Als in Uganda das Gesetz erlassen wurde, hat sich Anfang des Jahres im kenianischen Parlament ein Arbeitskreis gegen Homosexualität gebildet. Die Forderungen waren: Wir wollen, dass der kenianische Staat effektiv die bestehenden Gesetze gegen Homosexualität umsetzt. Falls er dazu nicht in der Lage ist, wurden die Bürgerinnen und Bürger Kenias, aufgefordert, es selbst in die Hand zu nehmen. Die Forderung nach einer Gesetzesverschärfung war weniger gefährlich als der Aufruf zur Selbstjustiz. Der hatte unmittelbare Folgen: Es gab Übergriffe auf Einrichtungen, sowie Attacken auf vermutet homosexuelle Menschen.

Dies hat insgesamt eine andere Gefährdungssituation geschaffen, für homosexuelle Personen sowie für Organisationen, die zu dem Thema arbeiten. Anfang August 2014 gab es dann tatsächlich einen Gesetzesvorschlag, der sehr drastische Maßnahmen vorschlug; unter anderem öffentliche Steinigungen ausländischer Homosexueller. Das ist glücklicherweise in Kenia absurd, zeigt aber, dass Diskussionen über die Gesetzeslage immer wieder hochkommen können. Vor allem, wenn sie politisch opportun sind.

Wie würden Sie denn das soziale Klima gegenüber Lesben, Schwulen oder Trans* in Kenia beschreiben?

Es ist relativ komplex und schwer eindeutige Aussagen zu machen. Auf der einen Seite zeigen Umfragen, dass es eine klare Ablehnung von Homosexualität gibt. 88 Prozent der Bevölkerung, so sagt das Pew Research Center, lehnen Homosexualität ab. Gleichzeitig ist es aber so, dass es Räume vor allem im städtischen Bereich gibt, wo sich LGBTI-Menschen vernetzen können. Es gibt also sehr viel Progressives in einer Situation von großer Ablehnung. Das ist so ein Widerspruch, den man versuchen muss für sich aufzulösen.

Interessant finde ich, dass es in der Diskussion meist nicht nur um Homosexualität, sondern um grundsätzliche moralische Fragen geht. Es gibt die Vermischung von sehr konservativen Vorstellungen von Familie und von Gesellschaft, die nicht nur heteronormativ, sondern auch extrem patriarchalisch ist. Die Ablehnung von Homosexualität ist eingewoben in die Frage von Andersartigkeit, die oftmals Bedrohung wahrgenommen wird. Homophobe Reaktionen haben auch mit dem Schutz der eigenen Identität zu tun.

Das spielt in Kenia eine große Rolle, weil es eine extrem ethnisch polarisierte Situation gibt, die politisch instrumentalisiert wird. Gleichzeitig gibt es Homosexualität gegenüber ein Laissez-Faire Prinzip: „Ich verstehe es nicht und lehne es ab, aber solange ich nicht damit konfrontiert werde, ist es mir egal“. Dadurch entstehen auch relativ geschützte Begegnungsorte. Nicht zuletzt spielen religiöse Institutionen eine wichtige Rolle. Afrika wird oft noch wahrgenommen als letzter Kampfplatz, auf dem moralische Prinzipien verteidigt werden. Deshalb gibt es ein großes Interesse von vor allem radikaler Kirchen: Während der Rest der Welt schon „verdorben“ ist, gilt es für sie hier bestimmte Werte zu verteidigen. Deshalb spielt Religion eine wichtige Rolle mit sehr wenig Toleranz für Andersartigkeit.

Wie arbeitet die Heinrich-Böll-Stiftung in Kenia zu dem Thema?

Wir reden und kooperieren mit Gruppen und Organisationen, die zum Thema arbeiten; wir machen dazu keine Alleingänge. Es brauchte eine Weile, um zu verstehen, welche Strategien verfolgt werden, da sich diese Strategien ständig verändern, um sich an ein wandelndes Umfeld anzupassen.

Während wir beispielsweise Anfang des Jahres mit der Publikation von Kevin Mwachiro mutig an die Öffentlichkeit gingen, würden wir dies jetzt womöglich nicht mehr so machen. Anfang des Jahres gab es in Nairobi auch noch eine große Demonstration gegen das Anti-Homosexualitätsgesetz in Nigeria und insgesamt viel Öffentlichkeit zum Thema. Derzeit ist eher die Strategie: Womit lässt sich die öffentliche Meinung gewinnen? Es geht daher mehr um Fragen zu Gesundheit, HIV-Prävention, Aids.

Welche Ansätze verfolgen Sie dabei in Ihrer Arbeit?

Wir arbeiten mit zwei wichtigen Ansätzen: Der eine ist, das Justizsystem zu nutzen, um LGBTI-Personen gegen Diskriminierung zu verteidigen, und gleichzeitig durch positive Urteile einen Rechtsrahmen zu schaffen, um mittelfristig homosexuelle Akte zu entkriminalisieren. Dies findet im Rahmen von Rechtsberatung und Rechtsbeistand bis hin zu Rechtsprozessen statt. Dabei arbeiten wir eng mit der National Gay and Lesbian Human Rights Commission zusammen.

Kenias Verfassung von 2010 bietet einen relativ umfangreichen Menschenrechtsschutz. Es gab im Vorfeld viel Diskussion ob man explizit  das Verbot von Diskriminierung sexueller Minderheiten in den Verfassungsentwurf aufnimmt, doch es war klar, dass dies ein Durchsetzen erschweren würde. Damals haben selbst Menschenrechtsaktivist/innen gesagt, sie nähmen diese Forderung zurück, da es wichtiger sei, dass es eine neue Verfassung gebe. Das ist der eine Ansatz, den wir mit unserer Arbeit verfolgen.

Der andere ist die Dokumentation von Diskriminierung. Es gibt in Kenia, wie gesagt, eine große gesellschaftliche Ablehnung und Widerstand, Homosexualität als Teil der Gesellschaft anzuerkennen. Es wird als nicht afrikanisch gesehen, es gilt als Lebensstil, den Menschen in liberalisierten westlichen Gesellschaften wählen. Daher gibt es wenig Zustimmung. Aber nur wenige würden Gewalt gegen Homosexuelle akzeptabel finden.

Vielmehr gibt es ein ausgeprägtes Verständnis dafür, dass Menschen dieselben Rechte genießen. Auch das wird oft mit Religion erklärt: „Hasse die Sünde, aber nicht den Sünder“. Homosexualität ist falsch, aber der Mensch, der das lebt, den dürfen wir nicht dafür bestrafen. Bei diesem zweiten Projektansatz versuchen wir genau das zu zeigen: Dass die Gesetzeslage, sowie die Haltung der Gesellschaft immer wieder zu gravierenden Ausgrenzungen, Diskriminierungen bis hin zu Gewalt führen und damit diese wiederum legitimieren.

Wie gefährlich ist das Leben für Aktivist/innen für Menschenrechte in Kenia? Wer sind Vorbilder in der Szene?

Der Aufruf zur Selbstjustiz hat ein neues Gefährdungspotential geschaffen. Das zeigt sich am Beispiel von „safe houses“ – das sind geschützte Häuser für von Diskriminierung und Gewalt bedrohte Menschen – die sich kaum etablieren lassen. Das Kommen und Gehen löst Skepsis und Neugier aus dem Umfeld aus, und es kommt zu Anzeigen. Es ist daher sehr schwierig, wirklich sichere Orte zu schaffen. Dies wäre aber wichtig, da wir derzeit viele LGBTI-Flüchtlinge aus Uganda haben, die hier ebenfalls nicht geschützt sind. Diese Menschen sind tagtäglichen Bedrohungen ausgesetzt. Es geht um eingeschränkte Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, sowie um die Schwierigkeit einer stabilen Wohnsituation. Viele haben uns davon erzählt, dass sie ständig umziehen müssen, um willkürlichen Übergriffen der Polizei zu entgehen.

Bei der Frage nach Vorbildern fallen mir Eric Gitari ein, der Vorsitzende der National Gay and Lesbian Human Rights Commission in Kenia (NGLHRC) und der kenianische Autor Binyavanga Wainaina, der Anfang des Jahres sein Coming-Out hatte. Ich bezweifle, dass es in Kenia so eindeutig „klassische“ Aktivist/innen gibt, sondern vielmehr gibt es ganz viele, die mutige Arbeit leisten, wie beispielsweise Kevin Mwachiro, dessen Buch „Invisible – Stories from Kenya‘s Queer Community“ eine sehr gute Rezeption erfahren hat. Einige Aktivist/innen sind in die Anonymität zurückgegangen, da sie die ständige Öffentlichkeit nicht mehr aushielten. Das zermürbt auch die Bewegung. Viele dachten, Kenia sei fortschrittlich. Diese Rückschritte seit Anfang des Jahres und das öffentliche Anprangern, das wir derzeit wahrnehmen, ist für viele ein Schock.

Gab es in der letzten Zeit Erfolge von LGBTI-Gruppen oder Personen zu verzeichnen? Wie sahen die aus?

Ja, absolut. Unsere Strategie, über das Rechtssystem zu agieren, scheint sich zu bestätigen. Es gab den Fall, der lange verhandelt wurde, bei dem die „Transgender Education Advocacy“ (TEA) Organisation geklagt hat, da sie nicht als Organisation anerkannt wurde und sich nicht registrieren konnte. Grund ist, dass sie in ihrem Namen einen Hinweis darauf trägt, dass sie mit Transgender-Menschen arbeitet. Die Direktorin hat mehrere Gerichtsverfahren deswegen angestrengt.

Nun wurde das „NGO Registration Board“ im Juli 2014 gerichtlich angewiesen, TEA zu registrieren. Das ist ein großer Schritt, denn dabei geht es um das Recht auf Versammlung und auf Vereinsgründung, wovon viel abhängt, zum Beispiel die Akquise von Geldern für LGBTI-Organisationen.

Vor nicht allzu langer Zeit gab es in Deutschland noch den § 175, nun wird oft Richtung Russland oder Afrika geblickt und die dortige schwierige Lage für die LGBTI-Bewegung kritisiert. Worauf müssen wir in Deutschland bei so einem Diskurs aufpassen?

Es ist sehr wichtig für die Menschen vor Ort, von der Idee wegzukommen, dass Homosexualität oder diverse Geschlechteridentitäten „westliche“ Ideologien seien. Daher müssen wir verstehen, wo die Grenzen unseres Einflusses liegen. Als sich vor allem nordische Länder nach dem Erlass des Anti-Homosexualitätsgesetzes von Uganda distanzierten, reagierten Aktivist/innen sogleich mit der Bitte, die Entwicklungsförderung nicht einzustellen, da dies als eine Art von Bestrafung wahrgenommen würde.

Anders wäre es, wenn man sagt: Wir wollen einen notorisch korrupten Justizsektor nicht mehr unterstützen, doch fördern weiterhin den Gesundheits- und Bildungssektor. Ein besserer Ansatz ist daher, die Frage von Diskriminierungen gegen LGBTI-Personen in einen größeren Menschenrechts-Zusammenhang zu stellen. Aktivist/innen dort raten uns: „Wenn ihr von Lesben, Schwulen, Trans* und Inter-Menschen in Uganda sprecht, sprecht gleichzeitig auch von der Einschränkung der Arbeit von Organisationen in Uganda, von Demokratiedefiziten und Menschenrechtsverletzungen – und bringt dies in einen Zusammenhang“. Dann ist es auch verständlich und glaubhaft, da es mit einem Wertekonzept verbunden wird. Denn das Herausgreifen von Homosexualität allein ist gefährlich und nicht der Sache dienlich.

Wie könnte Deutschland und die Community hier, die LGBTI-Bewegung in Kenia unterstützen?

Definitiv über einen gemeinsamen Austausch, über die Möglichkeit sich zu informieren. Der Kampf, die Gespräche und die Diskussion darüber in Deutschland sind ja auch noch nicht so alt. Es ist darüber hinaus eine Frage von Solidarität und von Normalität. Für viele, die aus Kenia oder anderen Ländern Afrikas nach Deutschland kommen, ist dieses Gefühl „normal“ zu sein eine wichtige Erfahrung. Denn sich ständig gegen eine ablehnende Gesellschaft stemmen zu müssen, ist anstrengend. Beispielsweise hat bei der von der Heinrich-Böll-Stiftung organisierten LGBTI-Besuchsreise die Begegnungen mit Kirchenführern, die sich in Deutschland für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen, einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Wie wesentlich ist der Einfluss von außen, Druck von der internationalen Gemeinschaft – oder spielt dies wiederum jenen in die Hände, die Homosexualität insgesamt als ein „Import des Westens“ sehen?

Der Einfluss von außen ist äußerst zwiespältig. Wichtig ist es, keinen moralischen Zeigefinger zu erheben. Es ist nicht einfach, die komplexen Gründe für die tiefe Homophobie in Teilen Afrikas zu verstehen. Viele Gesellschaften sind durch Phasen in ihrer Geschichte gegangen, in denen ihnen erklärt wurde, dass alles was sie sind und darstellen, unzivilisiert und rückschrittlich ist. Kolonialisierung beinhaltete keine Wertschätzung, sondern es ging darum, ein Wertesystem mit einem anderen auszutauschen. Ein Export moralischer Vorstellungen. So stammen beispielsweise die „Sodomie-Gesetze“ in afrikanischen Ländern aus der englischen und französischen Rechtsprechung. Viele Gesellschaften haben diese Werte nun angenommen und ich glaube, es gibt einen großen Widerstand dagegen, das Ganze nochmals auszutauschen. Der Schritt eines erneuten „Moralexports“ geht an dieser Stelle nicht.

Daher finde ich es so spannend, was Kevin Mwachiro sagt: Wir müssen in Kenia unsere eigene Lösung finden, müssen nach innen schauen und uns fragen, wo waren afrikanische Gesellschaften vor der Kolonialisierung viel toleranter? Es gibt noch immer Beispiele für diese Toleranz: Wenn bei den Nandi in Kenia eine ältere Frau keine Kinder hat, aber wirtschaftlich gut gestellt ist, kann sie eine jüngere Frau heiraten. Diese bringt dann ein Kind in die Familie und beide ziehen es in einer Frau-Frau-Beziehung groß. Dies ist legitim, weil es vor allem darum geht, dass die ältere Frau nur mit einem Kind ihren Namen fortsetzen kann. Viele Gesellschaften waren anderen Modellen gegenüber offen. Dies hat sich allerdings durch die Kolonialdoktrin und christliche Grundwerte aufgelöst. Deshalb finde ich diese Rückbesinnung wichtig, wie Kevin es sagt: Unser Weg ist es nicht, euch hinterherzulaufen, sondern etwas ganz eigenes zu finden und zu entwickeln, das in unseren Gesellschaften verankert ist.

 

Dieser Beitrag erschien auf der Webseite der Heinrich Böll Stiftung im Februar 2015.

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