LGBTI-Zwischenruf: EuGH erkennt Homosexualität als Asylgrund an
Das Bild zeigt die Fassade des EuGH. Foto: Bjorn Giesenbauer. Dieses Bild steht unter einer Creative Commons Lizenz.
[entry-title permalink="0"]

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 7. November 2013 entschieden, dass homosexuellen Asylsuchenden, denen in ihrem Heimatland tatsächliche Strafverfolgung droht, in den EU-Mitgliedsstaaten Asyl zu gewähren ist. Ein wichtiges Urteil, aber angesichts der EU Abschottungspolitik in Sachen Asyl- und Flüchtlingspolitik nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Grundlage dieser Entscheidung ist der Fall von drei schwulen Männern aus Sierra Leone, Uganda und Senegal, deren Antrag auf Asyl in den Niederlanden abgelehnt worden war. Das höchste niederländische Gericht hat den EuGH um eine Vorabentscheidung hinsichtlich der Auslegung von EU-Recht gebeten. Nach der europäischen Anerkennungsrichtlinie [1], die sich auf die Genfer Flüchtlingskonvention bezieht, kann jemand aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, einen Antrag auf Asyl d.h. auf Schutz vor Verfolgung stellen. Nun wird „sexuelle Orientierung“ als Verfolgungsgrund nicht explizit genannt, daher musste das Gericht zunächst darüber entscheiden, ob Homosexuelle als eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne der Richtlinie anzusehen sind.

Teil einer sozialen Gruppe

Dazu müssen laut Richtlinie zwei Voraussetzungen erfüllt sein: zum einen braucht die soziale Gruppe gemeinsame Merkmale, die nicht verändert werden können; zum anderen eine deutlich abgegrenzte Identität, da sie vom Rest der Bevölkerung als andersartig angesehen wird. Beides sah der Europäische Gerichtshof im Fall von Homosexuellen bestätigt. Allein der Tatbestand, dass es strafrechtliche Bestimmungen gibt, die spezifisch Homosexuelle betreffen, unterstütze das Argument, dass sie eine soziale Gruppe bilden. Dies vom höchsten europäischen Gericht klargestellt, gilt es für alle künftigen Rechtsprechungen in der EU.

Sexuelle Orientierung als Merkmal der Identität

Der EuGH argumentiert weiter, dass die sexuelle Orientierung einer Person ein dermaßen bedeutsames Merkmal der Identität darstelle, dass sie nicht gezwungen werden sollte, darauf zu verzichten. Dies ist eine bedeutende Entscheidung. Damit entkräftet der EuGH ein auch in der deutschen Rechtsprechung und Entscheidungspraxis des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) häufiges Argumentationsmuster, mit dem die Asylanträge Homosexueller abgelehnt wurden. Dabei wird der Asylsuchende aufgefordert, die eigene Homosexualität im Heimatland geheim zu halten um mögliche Gefahren zu vermeiden. Dass dieses zynische Argument, das eine Täter-Opfer-Umkehr impliziert, nun vor keinem europäischen Gericht mehr Anwendung finden darf, ist ein großer Erfolg dieses Urteils.

Schwerwiegende Verletzung der Grundrechte

Des Weiteren bittet der niederländische Staatsrat den EuGH um Klärung bezüglich der Feststellung der Verfolgung. Genügt die Tatsache, dass homosexuelle Handlungen im Herkunftsland unter Strafe gestellt sind für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus? Bei der Antwort differenziert der Gerichtshof: Verfolgung im Sinne der Genfer Konvention stellen nur schwerwiegende Verletzungen von Grundrechten dar, d.h. einfache Rechtsvorschriften, die homosexuelle Handlungen unter Strafe stellen, gelten als nicht ausreichend. Dagegen kann eine Freiheitsstrafe für homosexuelle Handlungen als Verfolgungshandlung verstanden werden. Was ist aber mit „schwerwiegend“ genau gemeint? Klar, dass dabei Freiheits- oder sogar Todesstrafen darunterfallen, aber was noch? Hier gibt es einen weiten Interpretationsspielraum, der eine Abweisung von Asylanträgen von Homosexuellen ermöglicht.

Tatsächliche Verfolgung

Auch müssen die EU-Mitgliedsstaaten Schutz vor Verfolgung erst dann gewähren, wenn diese Strafen in den Herkunftsländern tatsächlich verhängt werden. Das Gericht rät daher den nationalen Behörden die Anwendung der Rechtsvorschriften in den entsprechenden Ländern zu prüfen. Dies könnte ein möglicher Stolperstein sein. Was passiert mit der Lesbe und dem Schwulen, denen in ihren Herkunftsländern zwar keine Freiheits- oder Todesstrafe droht, die aber täglich Diskriminierung, Belästigung bis zu Gewaltangriffen ausgesetzt sind und die ihr Land deshalb verlassen möchten? Für sie ist ein freies gleichberechtigtes Leben unmöglich, dennoch haben sie wohl keine Chance auf Asyl in der EU. Damit lässt das Urteil einige Schutzsuchende außen vor. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte diese Art der Verletzung von Grundrechten auch als Verfolgungsgrund anerkennen und damit lesbischen und schwulen Schutzsuchenden ermöglichen, von EU-Mitgliedsländern als Flüchtlinge aufgenommen zu werden.

Klare Worte

Dennoch ist dieses Urteil insgesamt als wegweisend für das Asylrecht in Europa zu werten. Das Gericht findet klare Worte für die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus aufgrund sexueller Orientierung. Es widerspricht gängiger Praxis, asylsuchende Lesben oder Schwule mit dem Argument abzuweisen, ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland doch zurückhaltender auszuleben. Das Urteil entfaltet unmittelbare Wirkung in der gesamten EU und ist von allen Behörden und Gerichten zu beachten. Wenn wir jedoch die gesamte europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik betrachten, ist dies nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Solange die EU Migrant_innen und Flüchtlinge immer noch als „Sicherheitsproblem“ betrachtet, gegen die man u.a. mit Frontex, der Agentur zum Schutz der Außengrenzen, vorgehen kann, solange es keine umfassende europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik gibt, die von der Abschottung weg, hin zu einem humanitären menschenrechtszentrierten Ansatz führt, so lange wird wohl das Sterben an den EU-Außengrenzen weiter gehen. Auch die Bundesregierung kann und sollte den Kurs der EU-Asylpolitik mitbestimmen. Nach der Lampedusa-Tragödie wäre das ein wichtiges und notwendiges Zeichen.

von Caroline Ausserer, (erschienen auf der Webseite der Heinrich-Böll-Stiftung im März 2014)

Endnote:
[1] Artikel 2 c der Richtlinie 2004/38/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Statut von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes.